Das Kundalini Yoga Festival in Frankreich
Das Yogafestival in Frankreich ist seit den siebziger Jahren das zentrale Austauschtreffen der Europäischen Kundalini Yogis. Hier treffen sich einmal im Jahr alle, die in irgendeiner Form mit den Lehren Yogi Bhajans verbunden sind.
Legendär sind die Geschichten aus der Anfangszeit, als ein Paar Dutzend Personen im französischen Loches den Keim setzen für einen yogischen Lebensstil, der später hunderttausende inspirieren wird. Von Anfang an war es eine multikulturelle Gemeinschaft mit einer Mischung aus südeuropäischer Lebensart, angelsächsischer Strenge und skandinavischer Gelassenheit. Ein echtes (West-) Europa-Projekt. In den neunziger Jahren gab es erste Umbrüche. Yogis aus Osteuropa entdeckten das Festival und die Hälfte des Camps wurde deutsch. 1999 war ein Wendepunkt, als die Teilnehmerzahl auf mehr als 1000 anstieg und Yogi Bhajan das Festival ein letztes Mal besuchte.
In den darauf folgenden zwei Jahrzehnten wurde das Kundalini Yoga Festival in Fondjouan zum größten Yoga-Event Europas mit seinen vorläufigen Höhepunkt von mehr als 3000 Yogis im Jahr 2019.
Das Festival fußte schon immer auf Kerngruppen (Misl-Gruppen genannt), die als eine Art Nervensystem alle Bereiche miteinander verknüpfen. Neu ist, dass diese Gruppen nicht länger als Befehlsempfänger in einer pyramidenartigen Hierarchie funktionieren, sondern sich in allen Bereichen von unten nach oben kooperativen Formen der Organisierung durchzusetzen scheinen.
Ebenfalls neu ist, dass es keine Führungsperson mehr gibt, die das Festival leitet. Die Skepsis gegenüber spirituellen Führern und die Erfahrungen des Machtmissbrauchs schlägt sich auch im organisatorischen Umgang miteinander nieder. Die Abläufe und Verantwortlichkeiten sind zu komplex geworden und benötigen eine umfassende Kooperation, die keine einzelne Führungsperson mehr leisten kann.
Mit einem neuen Orgateam aus sieben KoordinatorInnen aus England, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und der Schweiz wurde ein Generationswechsel vollzogen. Zudem wurde der (teilweise erfolgreiche)Versuch unternommen, unterschiedlichen Bereichen des Festivals eine größere Autonomie zu geben.
- Im Programm-Bereich wurden mit drei Konzept-Bühnen (Happy, Holy, Healthy) neue Wege beschritten, die viel Lob, aber auch konstruktive Kritik erhielten.
Viele neue Yogis hatten Gelegenheit, einen Workshop zu gestalten. Gleichzeitig gab es eine Veranstaltung mit dem Sohn von Yogi Bhajan, die deutlich machte, dass die Wurzeln - bei allem Aufbruch ins Neue - nicht vergessen werden sollten. - Das Weiße Tantra ist nicht mehr so stark auf den Mahan Tantric fokussiert. Die Anleitung hat sich bei der früher üblichen Verehrung von Yogi Bhajan zurückgehalten, zollt aber der Tradition den nötigen Respekt, damit das Format weiterhin funktioniert. Dadurch wurden die drei Weißen Tantra Tage für die meisten Teilnehmenden zum Höhepunkt des Festivals.
- Die Mantra-Konzerte wurden kurzerhand von den Bühnen zum Bazar verlegt, weil sich dort die meisten Menschen aufhielten und dadurch ein ungeplanter Mittelpunkt des Festivals entstand.
- Die Seva-Gruppen, die das Festival mit ihrer Arbeit am Laufen halten, improvisierten im Angesicht organisatorischer Mängel und sorgten dafür, dass am Ende doch noch alle satt wurden.
Tatsächlich spielt die Auseinandersetzung mit dem Thema selbstloses Dienen (Seva) bzw. Karma Yoga eine wichtige Rolle bei vielen Teilnehmenden. Hingabe ist zweifellos ein Schlüsselthema um die Themen des Festivals mental und körperlich verarbeiten zu können. Auf der anderen Seite steht die Erfahrung von Missbrauch (Macht, Geld, Sexualität) im Raum, die alle Yoga-Traditionen derzeit beschäftigt. Wer sich Hingibt möchte wissen, ob sein Dienst der Gemeinschaft dient oder Einzelpersonen. Gleichzeitig ist klar, dass ein Festival mit mehr als tausend Teilnehmern nicht rein ehrenamtlich vorbereitet werden kann.
Transparenz ermöglicht eine bewusste Entscheidung für den selbstlosen Dienst. Nur dann funktioniert die Hingabe im Sinne einer spirituellen Erhöhung des Einzelnen und führt zu einer Offenheit für Teambildung und Kooperation.
Kern dieser Aquarian Cooperation ist eine bewusste Kommunikation, die in der Lage ist, individuelle Störungen und zwischenmenschliche Konflikte zu integrieren. Hierbei kommt der Mischung der europäischen Lebensarten eine besondere Bedeutung zu. Es würde nicht miteinander funktionieren, wenn sich einzelne Positionen oder Fraktionen gegenüber anderen durchsetzen wollen.
Weitere Informationen zum Festival:
- Die natürliche Umgebung, das reinigende Essen (Mungbohnen mit Reis), der geschützte Rahmen und natürlich die Yogapraxis machten bei den TeilnehmerInnen neue Bewusstseinsprozesse möglich.
- Ein Yogafestivaltag beginnt mit dem morgendlichen Sadhana um 4.30 Uhr. Fast die Hälfte der eilnehmer schafft es, dem Ruf zu folgen, und zweieinhalb Stunden lang Yoga zu machen und zu Meditieren, bis die Sonne aufgeht.
- Nach dem Sadhana trifft sich das Camp in Missel-Gruppen, in denen sich die TeilnehmerInnen in ihrer Landessprache austauschen können und gemeinsam das Seva - die Arbeit für das Camp - organisieren, die das Herzstück des Yogafestivals ist und viele Teilnehmer in ihren eigenen inneren Prozessen unterstützt. Anschließend beginnen die Workshops.
- Höhepunkt des Festivals sind die drei Tage Weisses Tantra Yoga. Für viele ist diese Praxis das wichtigste, was Kundalini Yoga zu bieten hat - das Unterbewusstsein wird tief gereinigt. Die Prozesse, die beim Tantra-Yoga angeschoben werden, wirken auf eine heilsame Weise oft ein Leben lang weiter.
- Das Herz des Festivals ist die Gurdwara. Hier darf das Ego einmal Pause machen und der Geist sich reinigen. Diese rituelle Zusammenkunft ist eine lange andauernde Nahrung für die Seele, und eine Möglichkeit den eigenen inneren Bewusstseinszustand zu erneuern. Diese Praxis geht auf den Sikh-Dharma zurück.
Europäische Webseite des Yogafestivals
Fotos: Roman Lutkov, Berlin/ 3HO Europe