von Ulrike Reiche

Musik und Chanten sind eigenständige Techniken des Yoga, die die Wirkung von Körperübungen und Meditation unterstützen und fortführen. Hierfür werden die Klangströme, die die Stimme und klassische indische Instrumente erzeugen, nutzbar gemacht. Beim Chanten selbst geht es nicht nur um Gesang, sondern um

die Aktivierung von Reflexpunkten im Gaumen durch den Gebrauch der Zunge,
Entwicklung der Projektionskraft durch Konzentration und Affirmation,
die Lockerung der Stimmmuskulatur in Verbindung mit geeigneter Atemtechnik und
die Nutzung der vorderen Schädelhälfte (Maske) als Klangkörper, was wiederum die Stimmwirkung verstärkt und durch die Vibration eine Rückwirkung auf das Gehirn hat.

Nach yogischem Verständnis gibt es im oberen Mundraum 48 Reflexpunkte, die durch die Zungenspitze gleich einer Akupressur stimuliert werden. Wenn wir sprechen, berührt die Zunge diese Punkte und stimuliert das Gehirn und das Nervensystem. Die Worte bzw. Wortsilben, die im Yoga als Mantren genutzt werden, sind darauf ausgerichtet, bestimmte Energiebahnen im Mundraum zu aktivieren. Darüber hinaus werden verschiedene Betonungen und Klangfolgen genutzt, um bestimmte harmonische Vibrationen im Kopfes zu erzeugen. Außerdem wirken die Mantren über ihre Bedeutung im Wortsinn wie eine Affirmation und fördern das Projektionsvermögen.

Die yogische Theorie besagt, dass das menschliche Denkvermögen limitiert ist im Gegensatz zum universellen Geist. Wer die Frequenz des universellen Geistes nutzt, ist in der Lage, diese unendliche Ressource dem eigenen, endlichen Geist zugänglich zu machen. Damit ist ein Mantra nichts anderes als eine Form der Telekommunikation zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen. Das Individuum kreiert in seinem elektromagnetischen Feld eine bestimmte Schwingung, die es ihm ermöglicht, sich mit der Schwingung des elektromagnetischen Feldes des Universums zu verbinden.

Die Verbindung von Mundraum und Gehirnfunktion wird - zumindest in Teilen - inzwischen von der modernen Gehirnforschung bestätigt: die Art unserer Sprache bestimmt unser Denken wie unsere Denkmuster auf den Sprachausdruck zurückwirken . Darüber hinaus weiß man, dass das cranio-sakrale System, zu dem unser Gehirn und das zentrale Nervensystem zählen, sehr sensibel auf äußere Vibrationen wie Berührung oder Klangströme reagiert. Das cranio-sakrale System ist umgeben vom Liquor, einer körpereigenen Flüssigkeit, die in enger Verbindung mit dem Blutkreislauf und damit dem ganzen Körper steht. Flüssigkeiten übertragen Vibrationen schnell und direkt: wie das Wasser, das Wellen bildet, wenn ein Stein hineingefallen ist. Da unser Körper zu ca. 80% aus Wasser besteht, ist leicht verständlich, wie Schwingungen im Körper Wirkungen erzielen können. Diese Zusammenhänge machen sich alle Therapieformen zunutze, die mit Musik und Klängen arbeiten. Im Yoga findet man neben dem Gebrauch von Mantren auch die Gong-Meditation, die eine tiefe Entspannung ermöglicht und die Selbstheilungskräfte im Körper aktiviert.

Üblicherweise werden beim Chanten Mantren rezitiert. Neben der Bedeutung des Mantras als geistige Affirmation hat die Rezitation die Funktion eines geistigen Ankers und ermöglicht, in der Meditation den unterbewussten bzw. ungeordneten Gedankenstrom zu lenken oder sogar abzuschalten (MAN = Geist; TRA= Projektion). Jedes Mantra besitzt eine eigene Struktur und hat eine Bedeutung durch das, was es sein Klangstrom bewirkt. Mantren werden benutzt, um den Lärm im Unterbewusstsein zu beseitigen und es Energiemustern zu durchdringen, die wiederum unser Bewusstsein erheben und bereichern. Darüber hinausgehend hat die ständige Wiederholung der Wortsilben eine Wirkung auf die Stimme und die Gehirnfunktion, die für das Stimmtraining gezielt genutzt werden können, z.B.:

1. Mantren mit -ng am Ende bringen die Stimme in die vordere, obere Schädelhälfte. Sie wirken klärend auf den Geist und Gedankenstrom, man fühlt sich hinterher wie erfrischt und voll neuer Energie. Beispiele: ONG (Namo), ANG SUNG (Wahe Guru), SOHUNG

2. Mantren mit "m", die summend ausgesprochen werden, wirken lockernd auf die Stimmmuskulatur und die Lippen. Wenige Sekunden genügen bereits, die Stimmbänder besser zu durchbluten. Tendenziell wirken sie beruhigend und entspannend auf die Psyche. Beispiel: HUMMEE HUM BRAHM HUM

3. Mantren mit scharf gesprochenen "s"-Lauten sorgen für eine klare Aussprache und stimulieren die Reflexpunkte an der Zungenspitze und den vorderen Zähnen. Diesen Mantren wird eine kraftvolle Wirkung zugeschrieben, sie werden oft in Meditationen angewandt, die am Unterbewusstsein arbeiten und "geistigen Müll" beseitigen. Beispiele: SA ta na ma; ra ma da SA SA SE SOHUNG; SA re SA SA; Ad SATSCH Jugaad SATSCH ...

4. "a" ist der Laut, der als Herzöffner gilt und sehr tiefe Wirkung entfaltet. So verkörpert das "a" beispielsweise im tibetischen Buddhismus den Ursprung allen Klangs und wird der weiblichen Schöpfungsenergie zugeordnet, die aus dem unendlichen Raum des Universums entspringt. Gemäß dieser uralten Weisheitslehre ist das "a" auch der subtile Laut der feinstofflichen Energie- oder Pranawinde, die durch die Kanäle unseres Körpers ziehen und die, in unmittelbarer Verbindung mit unserem Atem, unseren körperlichen und geistigen Zustand bedingen. So haben auch alle Mantren mit "a" eine starke Wirkung, Beispiele: HAR, HARE, HARI; LA; weitere siehe 3.

5. Jedem Chakra lässt sich auch ein bestimmter Vokal / Konsonant zuordnen, der in seiner Schwingungsfrequenz dem Energiefluss des Chakras entspricht. Mantren, die diese Buchstaben verwenden, sprechen also die jeweiligen Chakren direkt an: 1. Chakra = "u", 2. Chakra = "o"(geschlossen), 3. Chakra = "o"(offen), 4. Chakra = "a", 5. Chakra = "e", 6. Chakra = "i", 7. Chakra = "m"

1. Quelle: Reaching me in me, S. 48, Creative Meditation of the Sublime Self

2.Quelle: Leben in Metaphern, Carl-Auer-Verlag

3. Quelle: Der innere Gesang, Amrit Stein, yoga aktuell no. 6/2005

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