Kundalini Yoga ist eine Technik, die sich dem kurzfristigen Zeitgeist entzieht.
Yoga besitzt eine spezifische Qualität, die sich über den jeweiligen Zeitgeist hinweg von Generation zu Generation erhalten hat. Diese Qualität wird durch den/die YogalehrerIn weitergegeben und basiert auf ein Erfahrungssystem, dass in der Yogalehrer-Ausbildung vermittelt wird.
Der erste Hinweis auf das Alter von Yoga liefert ein Fundstück aus dem Indus-Tal: die erste Abbildung eines Menschen, der Yoga praktiziert. Dieser Fund ist etwa 5000 Jahre alt. Die Schriften des Patanjali sind das erste schriftliche Zeugnis. Sie sind ca. 2000 Jahre alt.
Seit dieser Zeit hat die Menschheit hunderte Pandemien, Kriege, Zusammenbrüche und Wiederauferstehungen erlebt. Die Erfahrung des Yogas entfaltet unabhängig von allen Dramen des Menschen ihre Wirkung und überdauert Moden und Zeitgeist der jeweiligen Epoche.
Was ist die Qualität des Yoga?
Die LehrerIn ist nur der Kanal oder der Überbringer der Qualität, die sich in beide Richtungen auswirkt: vom Lehrer zum Schüler und vom Schüler zum Lehrer. Der Schüler wird dabei aus seinen bisherigen Denk- und Wahrnehmungsmustern „enthoben“, und über den eigenen Tellerrand hinaus getragen. Der Lehrer wächst beim Wachstum der Schüler selber mit, seine Erfahrung steigt.
Dieser Austausch wird im Kundalini Yoga die „Goldene Kette“ genannt. Der Yoga-Schüler bindet sich an eine Haltung, eine Atemführung und eine spezifische Ausrichtung. Er bringt sich in eine bestimmt Form, die über das Körperliche hinaus geht und auch den eigenen Geist und das Energiesystem umfasst. Dies ist zum einen eine starke Hinwendung zu einem ungewöhnlichen und unbekannten Zustand. Zum anderen erzeugt diese Hinwendung einen Schutzraum, der individuelle Entwicklung möglich macht.
Ausbildungen in Präsenz
Die körperliche Präsenz scheint notwendig zu sein, um mit Hilfe der Yoga-Praxis einen „Stempel“ zu setzen, der uns aus unseren schädlichen Gewohnheiten und alten Bindungen befreien kann. Wenn dies nicht passiert, ist die Erfahrung eingeschränkt. Sie kann nicht richtig „wurzeln“.
Die gemeinsame Yoga-Praxis ist stabilisierenden Faktor. Die Goldene Kette kann dazu benutzt werden, um die Zeit zwischen dem Zusammenbruch der alten Zwänge und der Verankerung in sich selber zu überbrücken. Sie gewährleistet, dass der individuelle Prozess, der durch das Yoga ausgelöst wird, in sicheren Bahnen bleibt und keinen Schaden anrichtet.
Es macht keinen Sinn, dauerhaft Präsenz-Ausbildungen zu unterbinden, egal wie massiv eine Pandemie grassiert. Dies wäre eine Absage an eine bessere Zukunft. Der Gesetzgeber hat deshalb in den Corona-Verordnungen der Bundesländer Klauseln vorgesehen, die Präsenz-Unterricht bei Yogalehrer-Ausbildungen ermöglichen.
Die Goldene Kette
Die Goldene Kette hat eine mentale Spezifikation. Neue Kundalini Yoga Lehrer lernen, wie diese Haltung in ihnen ihren individuellen Ausdruck findet und im eigenen Yogaunterricht zur Geltung kommt. Dabei wird die Individualität des Lehrers nicht tangiert. Ein Ausbruch oder Infragestellen des eigenen Lebensumfeldes ist nicht nötig. Religiöse oder moralische Vorstellungen sind nicht von Bedeutung bzw. werden nicht tangiert.
Neben Yogi Bhajan beinhaltete Guru Ram Das (4. Sikh-Guru, 1534 – 1581) diese Qualifikation. Sie lässt sich mit einer neutralen aber hingebungsvollen Haltung vergleichen. Guru Ram Das legte auch den Grundstein für den Goldenen Tempel, der heute noch - umgeben von einem Nektar-Tank - im indischen Amritsar steht, und das größte Heiligtum der Sikhs darstellt. Dieser Ort atmet in der Qualität der Goldenen Kette des Kundalini Yoga. Er ist explizit offen für alle weltanschaulichen Richtungen.
Einige zeitgenössische Autoren sind der Meinung, dass sich das moderne Yoga dadurch auszeichnet, dass "eine Ablösung des religiösen Bezugs zugunsten gesundheitlicher Aspekte" stattfindet. In der Tat geben gesundheitliche Gründe oft den Ausschlag, mit Yoga anzufangen. Vielfach wird davon ausgegangen, dass Yoga wirkungsvoll genutzt werden kann, ohne mit der Tradition in Berührung zu kommen. Wer tiefer in das Yoga eintaucht, kommt aber unweigerlich an den Punkt, sich einem Prozess der Selbstverwirklichung zuwenden zu müssen. Nachhaltige Gesundheit ohne Ver-Wirklich-ung des Selbst ist nicht möglich.