So wie sich eine Raupe verpuppt und zum Schmetterling werden muss besteht unser ganzes Leben aus einer Abfolge von unbekannten und unerklärlichen Prozessen. Diesen Lauf können wir nicht aufhalten, auch wenn wir es uns oft nicht eingestehen. Wir glauben, die Welt erklären zu können. Aber die Realität ist unendlich viel Komplexer als wir es uns jemals ausmalen könnten. Nur wenige können eine Relativitätstheorie von Einstein intellektuell erfassen, und diese ist trotzdem nur ein sehr begrenzter Ausschnitt von dem, was wirklich passiert. Wir bewegen uns im Nebel der Zeit, ohne Hoffnung auf etwas Festes oder Bleibendes, auf das wir uns beziehen können.
Yoga ist eine Methode der ausprobierenden Selbsterfahrung. Es wurde so lange probiert, bis es passte. Auch diese Grundlage ist trügerisch, aber sie kann als Brücke dienen um in einen bewussteren Zustand zu gelangen.
Was bleibt uns übrig als immer wieder neue Erfahrungen zu machen? Allerdings merken wir oft nicht, dass es neue Erfahrungen sind. Wir glauben, dass sich alles immer wiederholt. Und weil wir das glauben, setzen wir alle Erlebnisse in einen Kontext der Wiederholung. Wir replizieren unsere Gedanken immer wieder neu, in einer endlosen Schleife. Auch unsere Sprache ist eine Abfolge von Wiederholungen. Das Hamsterrad schließt sich.
Irgendwann ist die Replikation abgeschlossen und in unserem Kopf hat sich ein festes Weltbild in Form von verknüpften Synapsen gefestigt. Ein bisschen Bewegung mag hier und da noch möglich sein, aber die meisten Weichen sind gestellt. Von jetzt an findet eine Selbstreplikation statt. Unser Selbst erzeugt jeden Tag eine neue Kopie. In jenen zwei Sekunden wenn wir nach dem Nachtschlaf aufwachen sind wir noch in unserer eigentlichen Realität. Aber schon mit den ersten Gedanken wird die alte Kopie abgerufen und an die Stelle der Realität gesetzt. Jetzt können wir funktionieren wie eine Maschine – ohne uns dem Unbekannten oder Unerklärlichen aussetzen zu müssen. In diesem Zustand sind wir ein Rädchen im Getriebe von jenen, die weiter oben in der Planetaren Arbeitsmaschine sitzen.
Weil uns dieser Zustand irgendwann krank macht, greifen wir als Yogis ein. Wir praktizieren frühes Morgenyoga (Sadhana) um uns an den ursprünglichen Zustand unseres Geistes zu erinnern. Wir erforschen die ungenutzte Kapazität unseres Nervensystems, um uns dem Unbekannten stellen zu können. Wenn das Unbekannte unsere Bogenlinie berührt, erwacht sie und fängt an, unsere Projektionen in das Unbekannte hinein zu prägen. Wir sind nun nicht länger ein Objekt, dass von den äußeren Verhältnissen durchgeschüttelt wird, sondern ein Subjekt, dass seinen eigenen Stempel in die Welt aufdrückt.
Wenn die Bogenlinie erwacht, fangen unsere Zellen an zu strahlen. Wir schreiben Geschichte. Wir haben Ausstrahlung. Wir sind wach.
Alles dies versagen wir uns, wenn wir dem Unbekannten und Unerklärlichen lediglich unsere Selbstreplikation entgegen strecken.