Yoga und Neutralität

Eine neutrale Haltung ist die Voraussetzung für Heilung. Sie heilt die Polarität, diese Spannung zwischen zwei entgegengesetzten Ansprüchen. Damit das funktioniert ist allerdings zunächst etwas anderes notwendig.

 Yoga beinhaltet das Versprechen auf Neutralität. Wer Yoga macht, sehnt sich danach, in eine unbelastete Sphäre einzutauchen. Das Ziel ist, die oft als Grotesk empfundene Realität hinter sich zu lassen, die auf so unverständliche Weise am eigenen Selbstverständnis nagt. In der Neutralität muss niemand verbessert werden. Angst und Anspannung verlieren ihre Bedeutung und Berechtigung.

Aber Heilung braucht auch die Polarität. Ohne das Hinsehen in die Wunde, das Einlassen auf den Schmerz, kann die Neutralität nicht wirksam sein. Neutralität kann kein Dauerzustand sein, sie hat eine Brücken-Funktion.
Im Prozess der Meditation steht die neutrale Haltung in der Mitte. Sie ist die Qualität des Wassers (Qualität der 2): alles wird auf ein Level gebracht. Der Meditierende „wandert“ (Dyana, im 8-Fachen Pfad des Patanjali die 7. Stufe), er durchläuft einen Reinigungsprozess. Die Täler und Höhen werden miteinander in Beziehung gebracht, abgewogen, verglichen und schließlich miteinander verbunden, damit als dritter Schritt die Synchronisation (Samadhi, im 8-Fachen Pfad des Patanjali die 8. Stufe) möglich ist.
Damit das funktionieren kann, gibt es noch einen Schritt, der vorher gemacht werden muss.
Zunächst bedarf es der Konzentration, der Fokussierung (Dharana, im 8-Fachen Pfad des Patanjali die 6. Stufe), der klaren Haltung (Qualität der 1, Verbunden mit dem Element „Erde“), um den Prozess überhaupt auslösen zu können. Wer gleich mit der Neutralität anfängt, der erreicht nicht die Wunde, die geheilt werden will. Er bleibt an der Oberfläche.

Bei einem Konfliktfall oder einer Verletzung ist der Schmerz für den Heilungsprozess nötig. Schmerz ist nicht das gleiche wie Leid. Schmerz kann Leid verursachen, muss es aber nicht. Wer den Schmerz tragen kann (alleine oder gemeinsam), der kann sich immer noch entscheiden, ob er ihn mit Freude oder mit Leid erträgt.
Der Yogi geht hinab in die Polarität, er setzt sich der Yoga-Haltung aus, die möglicherweise Schmerz verursacht. Er begibt sich in das tamasische „Guna“, in die Schwere, das Dunkle, das Schmerzhafte. Dieses wird mit Hilfe von dem Pitta-Guna (Bewegungsenergie, Element Feuer, numerologisch die 3) hin zum sattwischen Guna transformiert.

Unser Körper hat diese zwei Strategien, um mit Konflikten (z.B. Krankheiten) umzugehen. Die erste ist dem Element Wasser und der numerologischen Zahl 2 zugeordnet. Die dafür wichtigen Organe sind z.B. die Nieren und die Blase. Unser Körper wird von Giftstoffen gereinigt, eine Vorbedingung für Neutralität. In diesem Vorgang wird der Konflikt als solches und die damit verbundene Polarität deutlich gemacht. Das schmerzt, aber es ist ein heilsamer Schmerz.
Die zweite Strategie ist das Verbrennen der Krankheitserreger (Feuer-Element, numerologisch der 3 zugeordnet), dass z.B. von Dünndarm und den Immunsystem geleistet wird. Das schmerzt ebenfalls, die weißen Blutkörperchen opfern sich dabei, sie verbrennen zusammen mit dem, was sie bekämpfen. Aber sie hinterlassen einen leeren Raum für neue Möglichkeiten.
Der 1. Weg arbeitet mit weiblicher Qualität, der zweite mit männlicher Qualität. Beides steht beiden Geschlechtern zur Verfügung.
Beides führt zu einer Neutralisierung (Element Luft, numerologisch die 4).

In einem Konfliktfall mit zwei Positionen ist es wichtig, offen zu benennen, was Schmerzt. Es nützt nichts, wegzusehen. In einer polarisierten Konfrontation ist eine neutrale Positionierung nicht möglich. Jegliche Neutralität führt zu einer Vereinnahmung und zu einer Schwächung. Dem kann sich niemand entziehen. Wer nicht für seinen Standpunkt einstehen kann oder will, dem bleibt nur Rückzug oder Flucht.
Wenn das Gesamtsystem stabil ist und die Konfliktparteien dadurch genügend Unterstützung und Ausdrucksmöglichkeit zur Verfügung haben, kann jeder Konflikt ausgehalten und gelöst werden. „Es gibt einen Weg durch jede Blockade“ (Yogi Bhajan, 2. Sutra des Wassermann-Zeitalters)

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