Yoga und Souveränität

2017 erschien das Buch „Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz. Darin beschreibt der Autor einen „Strukturwandel der Moderne“: der Blick aufs große Ganze verliere an Bedeutung.
Gewarnt wird vor einem „Heer gleichgültiger Egoisten“ (Spiegel 2023,Nr. 40) aufgrund übermäßiger Achtsamkeitsübungen wie z.B. Yoga. „Jede Widrigkeit verliert ihren Schrecken, wenn sie Wertungsfrei vorbei ziehen kann“.

Tatsächlich geht es beim Achtsamkeitstraining um weniger Wertung und mehr Wahrnehmung. Dies ist allerdings kein allgemeines Lebenskonzept sondern lediglich ein Aspekt der eigenen mentalen Kapazität. Viele Menschen sind in ihren Wertungen gefangen und haben keinen Zugang zu einem neutralen Blickwinkel. Die Wertungen selber sind nicht das Problem, sondern das Fehlen von Wahlmöglichkeiten..
Es geht beim Yoga nicht darum, die eigenen Gefühl, Werte und Meinungen dauerhaft auf ein Grundlevel zu senken. Vielmehr wird der Übende dazu ermutigt, zu erkennen, welche Impulse von Außen indoktriniert sind und welche von Innen kommen. Das Ziel ist eine größere individuelle Souveränität.

Der beschriebene Strukturwandel der Gesellschaft hin zu mehr Individualismus entwickelt sich seit hundert Jahren. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur und in der Gesellschaftspolitik oder der Psychologie zu finden. Achtsamkeit federt die Folgen der Vereinzelung ab und ist sicherlich nicht deren Ursache. Allenfalls kann es als Symptom des Wandels verstanden werden.
Das astrologische Konzept des Wassermann-Zeitalters sieht die Ursache der Singularität im Wechsel des Erdzeitalters. Bisherige Bindungskräfte (Sippe, Kultur, Nation) üben keine Anziehungskraft mehr auf Menschen aus und sind nicht mehr per se gemeinschaftsbildend.
Daraus ergibt sich eine größere Souveränität des Individuum, was mit der Forderung nach Transparenz, Mitgestaltung und Mitsprache einher geht.

Aus einem konservativen Blickwinkel mögen Singularitäten bedrohlich wirken, weil sie alte Formen der Verteilung von Herrschaft in Frage stellen. Die repräsentative Demokratie kann das souveräne Individuum nicht repräsentieren. Insofern stellt sich die Systemfrage.
Betrachtet man die gesellschaftliche Entwicklung im Ganzen, erscheinen die Tendenzen hin zu autoritäreren und unterdrückerischen Systemen wie Endkämpfe einer aussterbenden Idee. Tatsächlich erscheint es viel logischer, dass sich ein neues Demokratieverständnis durchsetzt, dass auf Basis von gemeinschaftlichen Handelns und einer menschenfreundlichen Zugewandtheit Korruption und Lobbyismus ein Ende setzt. Dafür braucht es allerdings souveräne Individuen, wie sie z.B. mit Hilfe von Yoga und Meditation gefördert werden.

 

 

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