Yoga, wie wir es im Westen kennen, birgt ein Geheimnis. Da ist etwas, was im Verborgenen liegt. Im Yoga steckt ein subtiler Inhalt, der sich zunächst nicht erschließt und zumeist nicht verstanden wird.
Dieses Geheimnis ist es, was die eigentliche Qualität und Faszination des Yoga ausmacht.
Dadurch, dass es nicht offensichtlich ist, wird es oft übersehen. Menschen machen Yoga, und sie wissen nicht, dass es etwas Subtiles gibt, was von ihnen Besitz ergreift und in ihnen einen Ausdruck findet. Sie merken nicht, was es bedeutet, Yoga zu machen. Sie merken wohl, dass es ihnen gut tut, aber sie wissen nicht genau, warum. Es ist dieses Subtile, das Geheime im Yoga, das dafür sorgt, dass es funktioniert, dass es einem besser geht.
Was ist dieses Geheimnis?
Yoga war Jahrtausende lang eine Geheimwissenschaft. Die heutigen Zeiten lassen Geheimnisse nicht länger zu. Alles kommt ans Licht, alles wird deutlich, alles offenbart sich.
Das Geheimnis des Yoga öffnet sich heute für jeden, der es wissen will. Wenn wir es kennenlernen, können wir Yoga mit anderen Augen sehen und auch anders einsetzen. Wenn wir das Geheimnis kennen, können wir über unser Leben selbst bestimmen. Denn das ist die Essenz des Geheimnisses. Im Kern geht es beim Yoga um Selbstbestimmung.
Yoga stärkt die Kapazität, nicht in die Polarität zu gehen. Es eröffnet die Möglichkeit, sich in einer Welt der Polarität auf keine Seite festlegen zu müssen. Zum Beispiel spielen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen aus der Sicht des Yoga erst einmal keine Rolle, die Übungen funktionieren für beide. Im Kundalini-Yoga gibt es einzelne Übungen speziell für Männer oder Frauen, wenn die tantrischen Energien mit einbezogen werden sollen. Aber der yogische Weg an sich ist ein geschlechtsneutraler Weg. Die innere Haltung ist die der Neutralität. Für das Yoga ist der neutrale Geist sehr wichtig, der sogenannte 4. feinstoffliche Körper.
Dieser Verstandesaspekt steht dem 2. und 3. Körper gegenüber, dem negativen und positiven Geist, die oftmals als ein Engelchen und ein Teufelchen dargestellt werden. Der negative Geist warnt vor Problemen, der positive Geist unterstützt die eigene Projektion, der neutrale Geist wiederum lässt sich weder von dem einen noch dem anderen Eindruck beeinflussen. Er schaut sie sich lediglich an. Das ist der entscheidende Punkt: Hingucken, offen sein, zulassen, aber nicht in die eine oder andere Position gehen. Der Verstand bleibt neutral, und aus dieser Neutralität heraus werden Entscheidungen getroffen. Aus dieser inneren Haltung heraus bleibt man in einer Position, in der Dinge ausgehalten und ertragen werden können wie in einer Yoga-Haltung. Der Körper, das eigene Umfeld oder was auch immer schwingt vielleicht in die eine oder in die andere Richtung, aber du bleibst trotzdem stabil. Durch dieses Aushalten werden Anspannung und Widerstände aufgelöst.
Aushalten und Zulassen sind die Schlüsselbegriffe dieses Vorgangs. Es wird zugelassen, was passiert. Es wird nicht in die eine oder die andere Seite eingegriffen. Du schwimmst nicht mit dem Fluss.
Du hältst aus, und dadurch können neue Ebenen entstehen, neue Dimensionen auftauchen, die vorher nicht sichtbar waren. Das ist das Geheimnis des Yogis.
Wenn es einen Konflikt gibt, der unter der Oberfläche schlummert und dort destruktiv wirkt, besteht die Möglichkeit, Heilung zu erzeugen, ohne den eigentlichen Konflikt anzuschauen oder zu erkennen. Mit Hilfe einer neutralen Haltung kann in einem offenen Konflikt eine Gegenreaktion provoziert werden, die eine Heilung ermöglicht.
Das ist dann so, als würde man eine eitrige Wunde aufschneiden, damit der Eiter abfließen kann. Dieser Vorgang des Schnittes ist ein gewalttätiger Akt, der aber nötig ist, um den Eiter, der unter der Haut liegt, zum Abfließen zu bringen. Genauso kann es auch in Gruppen oder Partnerschaften funktionieren. Durch den Konflikt können sich Anspannungen lösen, die ohne diesen Konflikt nicht möglich wären. Aus diesem Grund scheitern Menschen, die immer nur nach Harmonie suchen oder die immer nur versuchen, das Gute zu erzeugen. Damit negieren sie, dass der Schatten zum Licht dazugehört – ein Grundprinzip des Tantra.
Das traditionelle Yoga arbeitet mit tantrischer Energie. Du gehst in das eine Extrem, um ein anderes Extrem zu erzeugen. Du gehst in die Anspannung, um dich zu entspannen. Aus einer politischen Perspektive kann man in eine extreme Haltung gehen, um dann die entsprechende Gegenreaktion zu erzeugen.
Wenn polare Energien zusammenkommen und gehalten werden, dann balancieren sie sich aus. Es entsteht etwas Gemeinsames. Es entsteht etwas Neues, was nur in dieser Konstellation möglich ist. Wenn dieser Vorgang verstanden wird, kann er bewusst eingesetzt werden, um sich von Zwangssituationen und Manipulationen zu befreien.